I love originality so much I keep copying it.
Charles Bernstein
Veröffentlicht am 23. September 2014 von Ralf-Rainer Rygulla
William Carlos Williams 1883 – 1963
This Is Just to Say (1934)
I have eaten
the plums
that were in
the icebox
and which
you were probably
saving
for breakfast
Forgive me
they were delicious
so sweet
and so cold
+
Übersetzung
Hans Magnus Enzensberger
Nur damit du Bescheid weißt
Ich habe die Pflaumen
gegessen
die im Eisschrank
waren
du wolltest
sie sicher
fürs Frühstück
aufheben
Verzeih mir
sie waren herrlich
so süß
und so kalt
+
Durs Grünbein
aus ‚Grauzone morgens’, 1988
Verdorbene Fische
„Erschrick nicht, wenn du die Krusten
Brots, die Kartoffelschalen weg
wirfst, am Boden der Futtertonne
liegt wohl ein Halbdutzend verdorbener
Fische (Makrelen) mit steif
aufgerichteten Schwänzen und starren
Augenringen, die Bäuche geschlitzt, nein
erschrick nicht, es ist ein
so sinnloser Anblick, verzeih…“
Kenneth Koch
1
I chopped down the house that you had been saving to live in next summer.
I am sorry, but it was morning, and I had nothing to do
and its wooden beams were so inviting.
2
We laughed at the hollyhocks together
and then I sprayed them with lye.
Forgive me. I simply do not know what I am doing.
+
Charles Simic
aus: Grübelei im Rinnstein – Ausgewählte Gedichte
übersetzt von Rainer G. Schmidt
Löffel
Ein alter Löffel
Abgekaut,
Saubergeleckt,
Zurückpoliert
Auf seinen böse funkelnden
Glanz,
Der dich jetzt
Vom Tisch her beäugt,
Bereit, das heutige Datum
Und deinen Namen
In die nackte Wand
Zu kratzen.
+
Übersetzung
Heinrich Detering
Ich wollte nur sagen
Ich habe
die Pflaumen
im Eisschrank
gegessen
die du sicher
aufheben
wolltest
fürs Frühstück
Vergib mir
sie waren köstlich
so süß
und so kalt
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Veröffentlicht am 22. September 2014 von Gudrun Selten
„Von deinen Locken bin ich gefesselt.
Du bist eine Zypresse vom Garten der Vorzüglichkeit,
eine Blume aus dem Blumenbeet der Schönheit,……
deine Koketterie und deine juwelengefüllten Lippen
haben dazu geführt, dass ich dich verehre……………“
aus:
Wein der Liebe: Mystische Gedichte von Imam Sayyid Ruhullah Chomeini
Übersetzung von Ghulam Ridaa A’wani und Muhammad Legenhausen-von
höchster geistlicher Stelle autorisiert – wird von der iranischen Botschaft, Berlin, verteilt.
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Veröffentlicht am 30. August 2014 von Ralf-Rainer Rygulla
auf der Suche nach Möglichkeiten, über Flucht zu schreiben
Nelly Sachs, Chor der Geretteten
Wir Geretteten,
Aus deren hohlem Gebein der Tod schon seine Flöten schnitt,
An deren Sehnen der Tod schon seinen Bogen strich –
Unsere Leiber klagen noch nach
Mit ihrer verstümmelten Musik.
Wir Geretteten,
Immer noch hängen die Schlingen für unsere Hälse gedreht
Vor uns in der blauen Luft –
Immer noch füllen sich die Stundenuhren mit unserem tropfenden Blut.
Wir Geretteten,
Immer noch essen an uns die Würmer der Angst.
Unser Gestirn ist vergraben im Staub.
Wir Geretteten
Bitten euch:
Zeigt uns langsam eure Sonne.
Führt uns von Stern zu Stern im Schritt.
Laßt uns das Leben leise wieder lernen.
Es könnte sonst eines Vogels Lied,
Das Füllen des Eimers am Brunnen
Unseren schlecht versiegelten Schmerz aufbrechen lassen
Und uns wegschäumen –
Wir bitten euch:
Zeigt uns noch nicht einen beißenden Hund –
Es könnte sein, es könnte sein
Daß wir zu Staub zerfallen –
Vor euren Augen zerfallen in Staub.
Was hält denn unsere Webe zusammen?
Wir odemlos gewordene,
Deren Seele zu Ihm floh aus der Mitternacht
Lange bevor man unseren Leib rettete
In die Arche des Augenblicks.
Wir Geretteten,
Wir drücken eure Hand,
Wir erkennen euer Auge –
Aber zusammen hält uns nur noch der Abschied,
Der Abschied im Staub
Hält uns mit euch zusammen.
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Veröffentlicht am 4. April 2014 von Gudrun Selten
what is poetry?
putzen staubsaugen rotz abwischen geschürftes knie
bauch streicheln zum einschlafen oder wenn er wehtut
ein bettlied singen vorlesen die beine spreizen empfänglich
und tröstlich sein die wäsche in die trommel stopfen
schamhaare aus dem abfluß fischen zum zehnten mal
…
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Veröffentlicht am 2. April 2014 von Susanne Thauer
„Lyrik kann bedeutend sein, auch wenn niemand sie liest.“ –
Rosa von Praunheim zugeschrieben
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Veröffentlicht am 24. März 2014 von Susanne Thauer
die rache
der sprache
ist das gedicht.
Ernst Jandl: aus: peter und die kuh, München 1996
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Veröffentlicht am 14. Januar 2014 von Ralf-Rainer Rygulla
„I live with this paradox: I am an important poet, but nobody understands me. My poems mean what they say, but there is no message – nothing what I want to tell the world, except what I am thinking when I am writing.“ John Ashbery
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„Ach, aber mit Versen ist so wenig getan, wenn man sie früh schreibt. Man sollte warten damit und Sinn und Süßigkeit sammeln ein ganzes Leben lang und ein langes womöglich, und dann, ganz zum Schluß, vielleicht könnte man dann zehn Zeilen schreiben, die gut sind. Denn Verse sind nicht, wie die Leute meinen, Gefühle (die hat man früh genug), – es sind Erfahrungen. Um eines Verses willen muß man viele Städte sehen, Menschen und Dinge, man muß die Tiere kennen, man muß fühlen, wie die Vögel fliegen, und die Gebärde wissen, mit welcher die kleinen Blumen sich auftun am Morgen. Man muß zurückdenken können an Wege in unbekannten Gegenden, an unerwartete Begegnungen und an Abschiede, die man lange kommen sah, – an Kindheitstage, die noch unaufgeklärt sind, an die Eltern, die man kränken mußte, wenn sie einem eine Freude brachten und man begriff sie nicht (es war eine Freude für einen anderen -), an Kinderkrankheiten, die so seltsam anheben mit so vielen tiefen und schweren Verwandlungen, an Tage in stillen, verhaltenen Stuben und an Morgen am Meer, an das Meer überhaupt, an Meere, an Reisenächte, die hoch dahinrauschten und mit allen Sternen flogen, – und es ist noch nicht genug, wenn man an alles das denken darf. Man muß Erinnerungen haben an viele Liebesnächte, von denen keine der andern glich, an Schreie von Kreißenden und an leichte, weiße, schlafende Wöchnerinnen, die sich schließen. Aber auch bei Sterbenden muß man gewesen sein, muß bei Toten gesessen haben in der Stube mit dem offenen Fenster und den stoßweisen Geräuschen. Und es genügt auch noch nicht, daß man Erinnerungen hat. Man muß sie vergessen kön nen, wenn es viele sind, und man muß die große Geduld haben, zu warten, daß sie wiederkommen. Denn die Erinnerungen selbst es noch nicht. Erst wenn sie Blut werden in uns, Blick und Gebärde, namenlos und nicht mehr zu unterscheiden von uns selbst, erst dann kann es geschehen, daß in einer sehr seltenen Stunde das erste Wort eines Verses aufsteht in ihrer Mitte und aus ihnen ausgeht.“
Rainer Maria Rilke, aus Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
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